spielmobil bayreuth

spielen entdecken gestalten

spielleut auf reisen durch raum und zeit

die spielleut vereinen schon seit jahrtausenden den innigsten wunsch nach freiem spiel in sich.

in der mythologie treffen wir immer wieder auf spielfrauen und – männer,  die im einfachem, wie im besonderm, der spiegel dessen sind, was sie umgibt.

spielleut unterwegs

bei tristan und isolde ist es der spielmann tantris der eine zwischenrolle spielt.

dadurch können die verbindungen zwischen mehreren protagonisten auf unterschiedlichen ebenen stattfinden .

wunderbares weltentheater

tristan02

ein weitere historischer beleg ist das bild „die kinderspiele“ vom flämischen maler pieter bruegel der ältere aus dem 16ten jahrhundert

spielende kindser

wer möchte, kann alle spiele entdecken und ausprobieren !!!

 Puppen und Automaten

 

Kasperletheater, Farbholzstich nach Theodor Kleehaas von 1896, Sammlung Nagel ………………………..Im Hintergrund ist eine Schaubude zu sehen, wahrscheinlich eine Menagerie.

Obwohl viele Kasperlespieler regional recht bekannt waren, konnten sie mit ihrem Handpuppenspiel nur be- scheidene Einnahmen erzielen. Für eine “Bude” reich- ten die Einnahmen bzw. Transportkapazitäten meist nicht, das Publikum stand oder saß auf einfachen Bän- ken vor den kleinen Bühnen; manchmal war der Zu- schauerbereich eingezäunt, so dass Eintritt genommen werden konnte.

In der Regel ging ein weibliches Mitglied der Puppenspielerfamilie während der Vorstellung sammeln.
Detail eines Holzstichs von 1880, Sammlung Nagel

Auch das Marionettentheater war keine sonderlich verbreitete Schaubuden-Attrak- tion. Die traditionellen Puppentheaterstücke waren doch weniger für den Jahrmarkt geeignet. Die meisten reisenden Marionettentheater-Prinzipale mieteten i.d.R. Gasthaussäle für ihre Vorführungen und distanzierten sich nicht selten von ihren Kollegen auf den Jahrmärkten: “Auch möchte ich bitten, mein mechanisches Figu- ren-Theater nicht mit einemgewöhnlichen Kasperle-Theater, wie solche auf öffent- lichen Märkten aufgestellt werden, zu vergleichen.” (undat. Ankündigungszettel einer Hamlet-Aufführung von Winters Marionettentheater, Sammlung Nagel)

Jahrmarkt-Puppentheater ca. 1910, Sammlung Nagel

Auf den Jahrmärkten wurde dennoch immer auch Hand- puppen- und Marionetten- theater gespielt.

Holzstich 1886, Sammlung Nagel

Die beiden Spielformen unterschieden sich grundlegend. So war (und ist) der Kasper im Handpuppenspiel die zentrale, die Handlungbestimmende Figur, während im weniger auf Jahrmärkten anzutreffenden Marionettentheater die komische Rolle in die Handlung eingewoben wurde.

Darunter waren Märchenstücke für Kinder, Schauerdramen wie Dr. Faustus oder Ritter- und Rührstücke wie die unverwüstliche“Genoveva”.

“Gassenbühne, perspektivisch gemalte Prospekte,ein dekorativ gestaltetes, Samt und Stuck imitierendes Proszenium, prächtig kostümierte Figuren, sparsame Gestik und theatralischer Sprachduktus, die lustige Figur mitten im Spiel und die Trivialdramatik kennzeichnen diese Aufführungen.” (Bernstengel 1987, S. 151)

.Bühne eines Marionettentheaters ca. 1910, Sammlung Nagel …62

„Da sind die Gelehrten hinterdrein gewesen und haben sich den Doktor Faust so oft vorspielen lassen, daß sie endlich das ganze Stück (…) auf Papier gebracht, und einer (…) hat’s gar drucken lassen. Das nenne ich gestohlen. Übrigens hat auch ein gewisser Goethe einen Faust gemacht, aber das ist dummes Zeug; reim dich oder ich fress’ dich; lauter unverständlicher Bombast; und nicht einmal der Kas- perle kommt in selbigem Goethe vor. Der ist aber am allernötigsten, denn wenn ich keinen Kasperle nicht habe, wer soll mir dann die Teufel necken, ihnen Sessel und Tisch ins Gesicht schleudern, sie auf die Schwänze treten, wenn er’s nicht tut? Das sind meine allerschönsten Szenen.“ (Holtei 1911, S.450)

Die lustige Figur – hier der Kasper – stand in enger Verwandtschaft mit entspre- chenden Charakteren in Artisten- oder Theatertruppen reisender Komödianten. Sie verkörperte die sinnliche, triebbestimmte Sphäre und bewegte sich außerhalb ge- sellschaftlicher Normen und Kategorien, die ihr aber auch immer wieder zum Verhängnis wurden. Auf der anderen Seite ermöglichte ihre Außenseiterstellung dem Puppenspieler die Chance zur angreifenden Satire und Gesellschaftskritik. “Dieser unverwüstliche Nachkomme des Hanswurst führt sich zwar stets als rauflustiger, oft skrupelloser Grobian auf, verkörpert jedoch – als eine Art Katalysator der öffentlichen Meinung – das zu allen Zeiten gefährdete Prinzip des Guten und Gerechten, denn mit der Freiheit des Narren glossiert er in sozialkritischen Stegreiftiraden ganz unverfroren, was jedermann denkt, aber niemals laut auszusprechen wagt.”

(Böhmer 1967, S.16)

Jahrmarktskasper vom Beginn des 20. Jh., ausgestellt in Dortmund 1992

Der Kasper genoss “Narrenfreiheit” – meistens jedenfalls: “Nachdem der König von Schweden in Pohlen gangen und von dessen Verlust daselbst viel geredet wur- de, unterstunde sich allhier ein Gaukler auf dem Neumarkt mit den Puppen zu spie- len und vorzustellen, wie der König von Schweden von den Pohlen erschossen und von den Teufeln in die Hölle geschleppt, der König von Pohlen aber nach erhalte- nem Sieg von den Engeln in den Himmel versetzet. Da dies der schwedische Resi- dent (…) erfuhr, eiferte er sehr und es war die Bude in Stücken zerschlagen, alle Puppen konfiszieret und der Gaukler ein Tag was in die Bütteley gesetzet und nachdem er Strafe gegeben, auf Vorbitte wieder losgelassen … rührte alles daher, daß die Schweden in Pohlen so übel hauseten und einem unnötigen Krieg darin angefangen wie jeder meinte.” (zit. in Küpper 1966, S.7f)

Auch gegen alltägliche Willkür wusste sich der Kasper zur Wehr zu setzen, dessen Pritsche zum Gaudium der Zuschauer – neben Teufel, Tod, Hexe und Räuber – auch immer wieder Schutzmann, Henker und Richter traf.

Die große Beliebtheit der lustigen Figur beim einfachen Volk rührte auch von sei- ner sehr derben, spontanen, sinnenfrohen Art, die allerdings insbesondere aus sittli- chen und moralischen Gründen heftig kritisiert wurde: “Angesichts der großen sitt- lichen Schäden, welche sich in unserem Volksleben zeigen, und zu deren Abstellung sich die Edelsten der Nation die Hände reichen, muß es der Jugend- und Vater- landsfreund aufs Schmerzlichste berühren, wenn er sehen und hören muß, daß im- mer noch durch die schamlosesten Zoten bei öffentlichen Darstellungen das Volk und besonders die Jugend sittlich ruiniert wird. – Zu solchen darf man die (…) Kas- perl-Theater mit ihren schlüpfrigen Witzen und ans Schamlose grenzenden Gebah- rungen rechnen. Durch solche Vorstellungen wird in wenigen Minuten mehr ver- dorben, als Eltern und Erzieher in Jahren gut machen können. Wer sein Kind lieb hat, hält es ferne von solchen Lustbarkeiten. Mehrere Vaterlands- und Kunstfreun- de.

(Nörd- linger Anzei- genblatt 26. 6. 1878 in Sage- müller 1989, S.63)

Hännesche Theater auf dem Jahr- markt. Holzstich 1882, Sammlung Nagel

Solche Warnungen fruchteten; Obrigkeitskritik, Derbheit und Anzüglichkeiten tra- ten immer mehr zurück, das Kaspertheater diente in erster Linie der Kinder- Belustigung. “Unmoralisches kommt nicht vor, jedoch viel Drolliges zum Lachen (…)”. (aus einer Besprechung des Jahres 1857 in Sagemüller 1989, S.31)

Während der Kasper dabei in den von Komödianten betriebenen Puppenbühnen – wenn auch in gemilderter Form – eine sinnenfrohe, vorlaute, freche und verfressene Figur blieb, verlor er in den zahlreichen pädagogisch instrumentalisierten Ausfor- mungen des 20. Jahrhunderts endgültig sein Gesicht. Höhepunkt der Entwicklung sind die Kindergärten heimsuchenden “Verkehrserziehungs- und Umweltkasper”…

Den “Beschluss” der Marionettentheatervorfüh- rungen machten i.d.R. „Kunst- oder Varietéma- rionetten”, deren Handhabung das ganze Können der Puppenspieler erforderte.

Die abschließende Vorführung von Akrobaten, Tänzern, Clowns oder Turnern ist auch heute noch ein Qualitätsmerkmal der besseren traditio- nellen Marionettenspieler.

Abbildung auf einem Ankündigungszettel des „Mechanischen Casperle-Theaters“ von

………….. .„Mechanikus G. Eberle“, 1832 ..Sammlung Nagel

Zu den Solo-Marionetten zählten die „Fantoches“, Trickfiguren mit besonderen Eigenschaften, die z.B. auf offener Bühne ihre Körperproportionen veränderten oder eine andere Gestalt annahmen.

Ausschnitt eines Schaustellerzettels um 1900, Sammlung Nagel

Xaver Schichtl hatte bis in die 1930er Jahre traditionelle Marionettenstücke in sei- nem reichhaltigen Repertoire. Damit war er jedoch eine Ausnahme: Die wenigsten Marionettentheater auf den Jahrmärkten pflegten zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch das alte Puppenspiel. Vielmehr dominierten Programme, in denen vornehm- lich Varieté-, Kunst- und Verwandlungsmarionetten oder mechanische Figuren oh- ne Fäden in Soloauftritten oder kleinen Szenen gezeigt wurden, so auch bei einem Onkel Xavers: „Jetzt spielt er nur noch `Theater Fantoche` mit elektrisch betriebe- nen Gliederpüppchen; für die musste er sich natürlich eine neue `Prachtbude` bau- en lassen (…). Lange Stücke spielt er überhaupt kaum mehr, sondern er gibt jetzt `Varietévorstellungen` (…) unter die sich dann und wann gar ein leibhaftiger Tin- geltangel-Mensch verirrt.“ (Bühne und Welt 1907, S.227)

W Friedländer-Plakat 1911, Sammlung Nagel

Eine verbreiteter Bestandteil von Puppentheater-Programmen war häufig ein “The- ater im Theater”, ein Theatrum mundi oder “mechanisches Welttheater” mit bunt- bemalten Figuren aus Pappe oder Blech, die auf mehreren Laufschienen über die Bühne gezogen wurden. Die einzelne Figur wurde dabei durch Exzenter-Räder und raffinierte Übersetzungen bewegt. Der Puppentheater-Direktor des 19. Jahrhunderts baute diese mechanischen Schaubühnen wie auch seine Marionetten bzw. Fanto- ches in der Regel selbst und bezeichnete sich deshalb oftmals als “Mechanikus”.

Während der Marionettenvorstellung war das Theatrum mundi im “Durchbruchs- prospekt” verdeckt, im Anschluss bestritt es das sogenannte “Nachspiel”. Einige Puppenspieler bezogen das Theatrum mundi geschickt in ihre Stücke ein:
“Dr. Faust. Im 5. Akt wird Fausts Höllenfahrt im Theatrum mundi dargestellt” oder “Fridolin oder der Gang nach dem Eisenhammer. Großes Ritterschauspiel in 5. Akten. Im 3. Und 4. Akt großes Eisenhammerwerk, ganz neu gemalt und mecha- nisch eingerichtet. Man sieht die Glühöfen und den Eisenhammer in Tätigkeit.” (Staatliche Sammlungen Dresden 1984, S.13)

Detail eines Schaustellerzettels, Sammlung Nagel

“Als ein ‘Vorläufer der Kino-Wochenschau” ließ das Theatrum mundi die Zu- schauer einen Blick in die weite Welt tun. Die Vorstellung aktueller Ereignisse wechselte im Programm mit exotischen und lehrreich-unterhaltsamen Bildern. Pa- noramaähnliche Dekorationen, Licht- und Geräuscheffekte sowie rasche Verwand- lungen mit Klappkulissen belebten die Darstellung von Schlachten, Jahrmärkten, biblischen und historischen Szenen, geographischen Bildern im Wandel der Jahres- zeiten mit bewegter See, Gewittern, Mondschein und Vulkanausbrüchen.” (Till 1986, S.175)

Auf dem Jahrmarkt konnte ein großes Theatrum Mundi die alleinige Attraktion ei- ner Schaubude sein, wobei die Schausteller oft verschiedene Effekte in die Vorfüh- rung integrierten, wie sie z.B. ein Zyklorama ermöglichte: “Laut heutiger Anzeige wird Th. Bläser’s original-mechanisches Theater dieser Tage hier zur Besichtigung aufgestellt sein. Über dasselbe wird geschrieben: Man verwechsle das mechani- sche Theater nicht mit einem Panorama oder irgendeinem anderen Institut, in wel- chem man durch Gläser sieht, sondern man denke sich vielmehr ein wirkliches Theater, bei welchem die handelnden Wesen durch einen sinnreichen und kunstvol- len Mechanismus wie belebt auf der Bühne erscheinen. Während aber bei einem wirklichen Theater die Verwandlungen der Szenerien fast ausschließlich hinter ge- schlossenem Vorhang erfolgen, vollziehen sich hier die Veränderungen in stetem Gange ohne Unterbrechung der Handlung vor den Augen des Beschauers. In end- loser Folge wechseln Landschaft und Himmel, Nacht und Tag, Sonnenschein und Gewitterluft. Bald ist der Vordergrund das blauer Meer mit seinen schäumenden

Wellen, auf denen Dreimaster und Dampfschiffe kommen und gehen, bald ist es die Landstraße oder das freie Land, wo Menschen und Tiere in frei- ester Weise agieren. Kein leitender Draht, keine regierende Hand ist dabei zu sehen, nichts verrät das wunderbare Getriebe. Nur die geistreich benutzten Forschungen auf dem Gebiete der Me- chanik und die angewandten Erfahrun- gen ermöglichen die reiche Handlung. Kunst und Mechanik feiern in diesem Theater gleiche Triumphe.” (Rieser Volksblatt 23.10. 1891 in Sagemüller 1989, S.82f)

Die Szenerien in Franz August Schichtls Theatrum- Mundi-Schaubude – fremde Städte und Gegenden, Schiffskatastrophe, Seeschlacht – waren typisch für diese Form des Mechanischen Theaters. Friedländer-Plakat um 1912, Sammlung Nagel

Thiemers Theatrum Mundi (…) Die malerischen Ansichten, die er uns vorführt, sind stets gut gewählt, die

Decorationen vortrefflich gemalt und ihre Wirkung ist um so täuschender, da die wechselnde Beleuchtung getreu der Natur nachgeahmt ist, jede Scene aber auch durch bewegliche Figürchen belebt wird, die treu derselben angepasst, und zu- gleich ein treues Bild der der Sitten und Gebräuche der Völker geben, welche die dargestellte Gegend bewohnen. Heitere Volksfeste, feierliche Prozessionen, der wilde Kampf der Elemente auf dem brausenden Meere, und die Schrecknisse einer Schlacht u.s.w. wechseln hier mit einander ab, und so finden wir hier das Ernste mit dem harmlosen Scherz, das Belehrende, zum Nachdenken auffordernde mit dem Unterhaltenden, die allgemeine Heiterkeit Erregenden in schönster Harmonie ver- bunden.“ (Leipziger Tageblatt, 2.10.1858)

Es wird deutlich, dass das Theatrum Mundi der Jahrmärkte durchaus Bezüge zum namensgebenden barocken Welttheater aufwies. „Im Schwall der Ankündigungen auf den Werbezetteln klingt immer wieder das die barocke Schaufreude stimulie- rende Zauberwort an: Verwandlung, (…) Metamorphosen aller Art werden ver- sprochen als Sinnbilder des großen Weltenablaufs schlechthin, von der schlichten Wanderung des Mondes über einer Landschaft bis zum Ausbruch feuerspeiender Berge. Noch erregender als solche Darstellungen natürlicher Vorgänge sind die magischen Metamorphosen, an denen die Mythologie ebenso wie die Historie mit ihrem Personal beteiligt ist. Paradestücke der Verwandlungskunst sind auch die berühmten Schlachten, die des römischen Altertums wie der der neueren Geschich- te (…). Dergleichen vollzog sich mit großem mechanischem Aufwand und unter bengalischer Beleuchtung vor Rundhorizonten und unter dramatisch gestimmten Himmeln. Die Prospekte führen die klassischen Stätten der Weltgeschichte vor, auch die beliebtesten Reiseziele, etwa den Tempel von Jerusalem, das alte Rom o- der die Niagarafälle.“ (Schlee 1967, S.268)

Noch um 1960 reiste in der DDR eine „Bergwerk-Schau“. Sammlung Nagel

Ein beliebtes Theatrum Mundi-Sujet waren Bergwerke – von den tragbaren “Buckelbergwerken”, mit denen (inva- lide) arbeitslose Bergleute aus dem Erz- gebirge herumzogen (dazu Staatliche Kunstsammlungen Dresden 1984), bis zu großen Gruben “en miniature” in ei- genen Schaubuden: “Gegenüber dem goldenen Lamm werden zum ersten Ma- le täglich 1000 Hektoliter Steinkohlen

ausgegraben in der zur Leipziger Ostermesse mit großem Beifall aufgenommenen großen mechanischen Steinkohlengrube von Jules Motte auf einer Oberfläche von 1000 Quadratfuß, durch eine Dampfmaschine von 2 Pferdekräften in Bewegung gesetzt. Geologischer Spaziergang in der Unterwelt in einer Tiefe von 2000 Fuß. Studium der Sitten und Arbeiten der Grubenarbeiter, sowie der Gefahren, denen sie durch schlagende Wetter, Einsturz der Erde, Überschwemmungen etc. ausgesetzt sind. Oben auf der Erde sieht man die sämmtlichen Maschinen in Thätigkeit und in der Grube über hundert Grubenarbeiter, welche die verschiedenartigsten Ausbeu- tungsarbeiten ausführen. Man komme, sehe und staune, mit welcher Geschwindig- keit hier die Steinkohlen an’s Tageslicht befördert werden zu den erstaunlich billi- gen Preisen von 40 und 20 Pfg. Man bittet, dieses Geschäft nicht mit den gewöhnli- chen Schaubuden zu vergleichen, sondern es als ein wissenschaftliches Werk zu betrachten, das sowohl höheren Lehranstalten als auch Schulen bestens zu empfeh- len ist.” (Nördlinger Anzeigenblatt 21.6.1878 in Sagemüller 1989, S.63)

Durch das Drehen einer Kurbel setzt ein „wandernder Künstler“ Fi- guren in einem Schaukasten in Bewegung. Die Vorführungen von „Buckelbergwerken“ verliefen entsprechend. (Abbildung aus einer illustrierten Zeitschrift von 1912, Sammlung Nagel)

Die Figuren der Buckelbergwerke und mecha- nischen Bergwerke in Schaubuden waren oft vollplastisch, die Übergänge zu den mechani- schen Theatern mit plastischen Figuren und den Automaten-Kabinetten waren fließend.

Bewegliche plastische Figuren dienen heute Werbezwecken in Schaufenstern und an Kirmes-Fassaden, begeistern die Kleinen in Mär-chen- und Freizeitparks und ihre großen Geschwister in Gestalt von riesigen, computergesteuerten Insekten- oder Dinosauriermodellen. Im 18. Jh. bauten Uhrmacher mechanische “Automate” oder „Androiden“ von unerreichter Meisterschaft, die in den großbürgerlichen Salons und vor allem an aristokratischen Höfen vorgeführt oder verkauft wurden. Das einfache Volk musste sich mit der Schaustellung vergleichsweise einfacher und doch beeindruckender Automaten oder beweglicher Wachsfiguren begnügen. „Die androiden Automaten sanken gesellschaftlich wie technisch vom Spielzeug des Adels zur rasselnden Attraktion von Provinzjahrmärkten ab: Die turnenden und trinkenden Maschinen von Eselen, Tschuggmall oder Tendler mit ihren grob ge- schnitzten Gesichtern und der zwar raffinierten, aber gebastelt, ja geflickt wirken- den Mechanik waren ein volkstümlicher Nachhall der hochgezüchteten Raritäten des 18. Jahrhunderts.“ (Uta Kornmeier in Gerchow 2002, S. 247)

„(…) Einen Vorgeschmack der wundersamen Raritäten, die sich da ein Stelldichein gegeben haben, bieten schon die in einem Schaufenster ausgestellten Figuren, na- mentlich ein unersättlicher Menschenfresser, zu dem das fortwährend versammelte Kinderpublikum voll Staunen und voll Grauen emporblickt. Wer vollends das kleine Eintrittsgeld riskirt, der sieht sich alsbald in ein groteskes Durcheinander rastlos schnurrender und summender Gestalten versetzt, die einen recht ergötzlichen An- blick gewähren. So sieht man unter den kleinen in Schaukästen ausgestellten Car-

ricaturen einen biederen Ehemann unverdrossen den kleinen Sprössling auf dem Arme wiegen, während die kunstsinnige Frau Gemahlin mit wahrem Feuereifer das Clavier bearbeitet; dort wieder producirt sich ein kleiner Automat mit furchtbar rollenden Augen als Schwarzkünstler, indem er unter zwei Becher die unterschied- lichsten Gegenstände erscheinen und verschwinden läßt; – ringsumher zeigen Mu- sikanten, Akrobaten u.s.w. ihre Kunst. Im Hintergrund sind die großen ’Original- Automaten’ versammelt, darunter als Prachtexemplare ein trinkender Matrose, ein Schnupfer und ein Trompeter. (…) Sehr interessant sind von den übrigen Objecten der Sammlung eine Copie der Straßburger Uhr, diverse astronomische Uhrwerke, ein Perpetuum mobile (Chronometer-Pendule), namentlich aber eine räderlose Uhr, die durch eine freilaufende Kugel bewegt wird. (…).“ (Prager Tageblatt, zit. im Catalog für die Ausstellung mechanischer Original-Kunstwerke und Automaten von Wilh. Prinzlau, S.22f)

Walter Benjamin beschreibt in „Einbahnstraße“ von 1928 ein kleines Etablisse- ment, das noch aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammte: „Mechanisches Kabi- nett auf dem Jahrmarkt zu Lucca. In einem langgestreckten symmetrisch geteilten Zelt ist die Ausstellung untergebracht. (…) Im hellen Innenraume ziehen zwei Ti- sche sich in die Tiefe. Sie stoßen an der inneren Längskante zusammen, sodass nur ein schmaler Raum für den Umgang bleibt. Beide Tische sind niedrig und glasge- deckt. Auf ihnen stehen Puppen (…), während in ihrem unteren verdeckten Teile das Uhrwerk, das sie Puppen treibt, vernehmbar tickt. (…) An den Wänden sind Zerrspiegel.“

Die Ausstellungsstücke sind nach verschiedenen Genres unterteilt, Benjamin be- schreibt „Fürstlichkeiten“, Zauberer, phantastisch-humoristische Szenen sowie „biblische Figurinen“ wie die folgende: „Herodes befiehlt den Kindermord. Er öff- net weit den Mund und nickt dazu, streckt den Arm aus und lässt ihn wieder fallen. Zwei Henker stehen vor ihm: der eine leer laufend mit schneidendem Schwert, ein enthauptetes Kind unterm Arm, der andere, im Begriffe zuzustechen, steht, bis aufs Augenrollen, unbeweglich. Und zwei Mütter dabei: die eine unaufhörlich sacht ih- ren Kopf schüttelnd wie eine Schwermütige, die andere flehend die Arme hebend.“ (Benjamin 2011, S.56ff)

……… ……..„Mechanische Liliputaner-Damenkapelle“ von F. Bernhard 1908, Sammlung Nagel

Die Schauobjekte anderer mechanischer Kabinette bzw. Theater waren vielfältiger. Theatrum mundi-Vorführungen und Panoramen gab es neben Automaten fast im- mer zu sehen, außerdem mitunter Zykloramen, Dioramen und (Verwandlungs-) Marionetten. Oftmals verbanden geschickte Mechaniker wie z.B. M. Morieux ver- schiedene dieser Darbietungen zu effektvollen Shows.

Besonders trickreiche Einzelautomaten bildeten jedoch die Hauptattraktionen.

„Wenn die Phantasie des Zuschauers in der Vorführung dieser Figuren die Bewe- gung lebender Wesen zu erkennen glaubt, so sind es dennoch nur mechanische Kunstwerke erster Größe, die diese Täuschung hervorzubringen im Stande sind.“ (Programm des mechanischen Theaters Léon van Devoorde, S.6)

Der Star im Automatenensemble eines Mechanischen Theaters war häufig der „Seilschwenker“, „Turner“ oder „Seiltänzer“, der auf erstaunliche Weise viele Kunststücke eines Reckturners vollführte. Der komplizierte Mechanismus war nicht nur im Körper der Figur, sondern auch im „Seil“ bzw. der Reckstange verborgen.

„Diese Figuren werden vor den Augen des Publikums auf das Seil gesetzt, und sogleich, wie durch Zauberkraft hervorgerufen, zeigt der Automat alle Anzeichen des wirklichen Lebens. Er schwingt sich auf dem Seile hin und her, biegt und krümmt sich graziös in allen verschiedenen Stellungen, dreht und wendet sich, hält sich theils mit den Händen, theils nur mit den Füßen am Seile fest und produzirt so auf dem Schwungseil die schwierigsten, nur je von lebenden Akrobaten aus- geführten Kunststücke ohne durch Schnüre oder Züge geleitet zu werden.“ (ebenda)

Dieser beliebte Automat wurde wahrscheinlich um 1790 von Johan Karl Enseln (1759 – 1848) erfun- den. E.T.A. Hoffmann erwähnt ihn in seiner Erzäh- lung „Die Automate“ von 1814: „Einer der voll- kommensten Automate, die ich je sah, ist der Ens- lersche Voltigeur, allein so wie seine kraftvollen Bewegungen wahrhaft imponierten, ebenso hatte sein plötzliches Sitzenbleiben auf dem Seil, sein freundliches Nicken mit dem Kopfe etwas höchst Skurriles.“ (Werkausgabe 2001, S. 400)

Viele mechanische und optische Schaustücke lebten in verkleinerter
… und einfacher Form in Spielzeugen fort. Ein Beispiel ist der Reckturner ….„Jimmy“. ein mechanisches Spielzeug aus den 1950er Jahren, das in ….seiner Grundfunktion den „Seilschwenkern“ entspricht. Sammlung Nagel

Des Weiteren wurden animierte Szenen mit humoristischen Inhalten gezeigt, ande- re waren an Märchen oder die Mythologie angelehnt: „Eine Scene aus der griechi- schen Mythologie. Große effectvolle und sinnreiche Gruppirung von Göttern, Halbgöttern, Nymphen, Tritonen, Simbole u. v. A., Darstellung einer mechanischen Sonne und einer Fontaine, auf freier Bühne, in meisterhaft malerischer Ausführung mit brillanter Schlussapotheose bei elektrischer und bengalischer Beleuchtung.“

(Programm des Mechanischen Théatre Marveilleux, S.5)

Bergheer’s mechanisches Theater bot neben einem Theatrum-Mundi und Automaten auch Darbietun- gen, die mittels optischer Illusio- nen erzeugt wurden.

Ausschnitt eines Schaustellerzet- tels vom Ende des 19. Jh. Sammlung Nagel

Mitunter hatten die Me- chanischen Theater the- matische Schwerpunkte, neben den Bergwerken insbesondere die „Leiden Christi“. Weitere Beispiele sind das „Theater der Ga- leerensträflinge“ von Mül- ler-Alons oder F.A. Schichtls „Marineschau- spiele“.

Die „Dramaturgie“ der Aufführungen mit einer Art zusammenhängender Handlung orientierte sich allerdings vornehmlich an den Möglichkeiten des me- chanischen Spiels und vor allem an einer effektvollen Publikumswirkung – so im mit „Metamorphosen-

Maschinen“ in Szene gesetzten Stück von „Malbrucks Tod“: 1. Erscheint ein Sta- chelschwein, daraus präsentiert sich das Schloss Malbrucks … er nimmt Abschied von seiner Gemahlin, reitet fort, und das Schloss verwandelt sich wieder in ein Sta- chelschwein. 2. Die Schlacht, wo Malbruck umkommt. 3. Erscheint eine Dame, daraus kommen vier Leichensteine, die sich in vier Soldaten verwandeln, und tra- gen ihn zu Grabe. 4. Erscheint ein Kamel, dieses verwandelt sich in einen Turm, die Gemahlin Malbrucks steigt darauf, sieht den Pagen kommen, der die Ordre bringt, dass Malbruck tot ist, und der Turm verwandelt sich wieder in ein Kamel. 5. Erscheint ein Elephant, dieser verwandelt sich in das Grab Malbrucks (seine Ge- mahlin beweint den Tod), er erscheint plötzlich aus dem Sarge zu Pferde in einer Rittertracht und verschwindet wieder; es kommt plötzlich eine Triumphwolke aus dem Grabe mit Malbruck, diese fährt zur Erde, und er bittet seine Gemahlin, ihm zu folgen, Gott Mars erscheint, sie steigen alle drei in dieser Wolke in die Höhe, und das Grab verwandelt sich wieder in den Elephanten. Zuletzt werden zwanzig

Ballett-Tänzer mit Lorbeerkränzen und Tänzerinnen ein Ballet formieren, worauf eine zierlich Quadrille folgt.“ (Schulte 1926, S.190ff)

Auch die Grenzen zwischen einem Automatenkabinett oder einem mechanischen Theater mit (zum Teil) lebensgroßen Wachsfiguren und einem Panoptikum, das häufig einzelne mechanisch bewegliche Exponate beinhaltete, waren oft fließend. So präsentierte beispielsweise P. Brandenburg in seinem Wachsfigurenkabinett ei- nige „durch Maschinerie“ animierte lebensgroße Figuren, darunter der „aufste- hende Christus, (…) auf dem Weg nach Ehmaus wandelnd, wie er die geliebten Jünger segnet“, den „Moment der Enthauptung Holofernes durch Judith“ oder „Maria Stuart und Elisabeth“. (Schaustellerzettel um 1820, Sammlung Nagel)

„Nr. 2. Judith mit dem Haupte des Holofernes. (…) Diese Gruppe ist mechanisch und machen wir das P. T. Publikum besonders auf den Kopf des Holofernes auf- merksam, welcher die Augen und den Mund bewegt.“ (Wegweiser durch Philipp Leilich’s Kunst-Museum und Panoptikum, S.3)

Eine typische mechanische Szene aus einem Panoptikum beschreibt folgende Er- läuterung aus einem zeitgenössischen Führer: “Des Försters letzter Gang (…), eine Szene aus den Bergen. Ein Wildschütz hat den Waidmann, der seine Spur entdeckt, mit sicherem Schusse hingestreckt. Sich über einen Felsblock am Abgrunde beu- gend, lauscht er, die Flinte krampfhaft fassend, nach seinem Opfer herüber. Finste- rer Trotz und doch ein Zug voll Furcht und Entsetzen prägen sich in dem wetter- harten Antlitz ob der vollbrachten Unthat aus. Mit durchschossener Schläfe liegt der Förster am Fuße des Hügels, die Hand in letzter Verzweiflung krampfhaft auf die Wunde gepreßt. Schwer hebt und senkt sich seine Brust. Das Haupt erhebend

bestrebt er sich, sich aufzu- richten, um seinen Mörder zu sehen. Doch vergebens ist sei- ne Mühe, er sinkt zurück und schließt das ausdrucksvolle Au- ge im schönen Walde, fern von Weib und Kind, für immer.” (Münchner Panoptikum um 1900, S.5)

Die mechanischen Figuren in einem Wachsfigurenkabinett setzten sich häufig erst nach Einwerfen eines Geldstücks in Gang, so auch diese musizierende Oda- liske in Trabers Panoptikum.
Sammlung Nagel

Einige Mechanische Theater wurden mitunter folgerichtig als “Wachsfigurenkabi- nette” bezeichnet – so auch in dem wohl eindrucksvollsten literarischen “Zeugnis” dieses Sujets, Oskar Panizzas Erzählung “Das Wachsfigurenkabinett“: „Abendmahl

Es war im alten Nürnberg. Ich war auf der Reise und hatte etwas Eile. Wir mochten um Anfang Oktober sein. Auf dem Marktplatz war ein großer Jahrmarkt aufge- schlagen, eine »Dult«, wie dort die Leute sagen. Es war schon gegen Abend und bei der vorgerückten Jahreszeit schon etwas dunkel. Trotzdem war der Verkehr zwischen den Buden noch ziemlich rege. Nach Abschluß meiner Geschäfte führte mich mein Weg über den Marktplatz, und ich war eben im Begriff, nach Hause zu gehen, als ich auf einer der Schaubuden, vor der zu meiner Verwunderung kein Ausschreier stand, die Überschrift: »Leiden und Sterben unseres Heilandes Jesu Christi« las. (…)

Nur einzelne Leute standen vor der sehr primitiv gehaltenen Baracke. Und diese gafften, wie das so Brauch ist. Der Preis schien mir etwas höher als bei den ande- ren künstlerischen Veranstaltungen. Ich trat ein. Ein segeltuchüberspannter, mit Lampen etwas düster beleuchteter Raum, in dem sich ein Dutzend Menschen bei- derlei Geschlechts und aus allen Ständen des Volkes befand. »Sie kommen gerade recht«, sprach mich der Budenbesitzer, der ein Sachse war, an, »soeben beginnt die Vorstellung.« Im Hintergrund der Bude, in den alles erwartungsvoll blickte, befand sich ein erhöhtes Gerüst, eine Art Bühne, die aber geschlossen war. Doch sah man an den durchschimmernden Lampen, daß sich dort etwas vorbereitete. Und eben, als der Budenbesitzer die Worte gesprochen hatte, ging der Vorhang auf, und alles drängte nun vor bis zur Rampe.

Auf einer Estrade, die einige Fuß über dem Erdboden erhaben und ringsum mit Soffitten entsprechend verkleidet war, befand sich eine große Gruppe dunkler, stei- fer Gestalten, sitzend, bunt gekleidet, zum Teil mit höchst pathetischem Gesichts- ausdruck, aber regungslos an einem Tisch vereinigt, die einen schief, die anderen gerade, die dritten buckelig, glotzend, stierend, lächelnd, entrüstet, vor Wehmut zerfließend, wie es gerade der Moment oder der Schauspielpart erheischte. Es war kein Zweifel, das sollte die Abendmahlszene vorstellen. Das Arrangement war das wie auf dem bekannten Bilde des Leonardo da Vinci: eine nach vorn offene, weiß gedeckte Tafel; die Brüche im Tischtuch von der Büglerin stark prononziert, damit das Tafeltuch als unzweifelhaft neu erscheint und so den Begriff des Feierlichen erhöhe. (…)

Das Publikum und ich waren beschäftigt, die einzelnen Gruppen und Persönlich- keiten in der Weise durchzumustern; es herrschte eine lautlose Stille, als der Bu- denbesitzer plötzlich mit weinerlich-sächsischem Pathos laut die Worte ins Publi- kum rief. »Wahrlich, ich sage euch, einer unter euch wird mich verraten!« – Nun ist es klar, daß diese Worte als aus dem Mund Christi hervorgehend gedacht waren. Sei es nun, daß der Sprachmechanismus dieser Hauptfigur nicht in Ordnung oder

durch vieljährigen Gebrauch ausgelaufen war, oder daß er gar niemals dagewesen war, in jedem Falle konnte Christus die ihm zukommenden Worte nicht sprechen; er bekräftigte aber das eben Gehörte durch ein eigentümliches, norddeutsch klin- gendes und etwas schnurrendes »Nja!«

Dieses »Nja« war so sonderbar betont, daß ich es dem Leser etwas analysieren muß: zuerst kam ein schnurrendes Geräusch, dann hob sich die Oberlippe und zeigte zwei Reihen vortrefflich eingesetzter Zähne fest aufeinandergebissen. Da die Holzpfeife, welche das schnurrende Geräusch hervorbrachte, ziemlich dicht hinter den Kiefern saß, so wurde der Ton jetzt bei geöffneten Lippen heller, hatte aber gleichzeitig einen gaumigen, holzigen Klarinettentimbre, der übrigens, wie ich glaube, beabsichtigt war. Nun sprang der Unterkiefer auf und die Mundhöhle wur- de sichtbar. Die gleiche Feder, die dies bewirkte, mußte auch noch ein anderes Re- gister öffnen, denn im gleichen Moment, und direkt anschließend an das schnur- rende »N«, sprang ein helles, tönendes, frisches »ja!« heraus, welches insofern vortrefflich konstruiert war, als jetzt der Mund durch das Etwas-offen-Bleiben der Lippen einen zufriedenen, heiteren Ausdruck annahm, der mit dem bejahenden Charakter der Partikel »ja!« durchaus im Einklang stand. – Nun kamen aber die Fehler hintennachgehinkt: Nachdem die Kiefer sich wieder geschlossen, blieb die Oberlippe viel zu lange oben, da Lippe und Kiefer getrennte Mechanismen hatten; die obere Zahnreihe mit ihren breiten, wie mit dem Meißel abgehackten Zähnen, gab dem ganzen Gesicht etwas peinlich Lustiges, etwas Lachendes; und als endlich die Oberlippe sich langsam herabsenkte, bekam der Mund einen solchen Ausdruck des Müden, des plötzlich Erstarrenden, Leichenähnlichen, wie ihn der Künstler ge- wiß nicht beabsichtigt hatte.

Gleichzeitig mit dem »Nja!« aber begann Christus Kopf und Arme ruckweise in die Höhe zu heben und die wächsernen Hände wie segnend über den Karpfen vor sich auszustrecken. Dann sank er wieder zu der halb geknickten und resignierten Posi- tur, die er anfangs eingenommen hatte, herab. Dieser Aktus hatte eine mächtige Wirkung auf das Publikum. An der veränderten Atmungsweise aus dem Dutzend Menschen, die wir beisammen waren, konnte man dies deutlich entnehmen. Das blaue Christusauge, welches bei etwas veränderter Kopfstellung nun aus einer schrecklich breiten, wächsernen Apathie herausstarrte, blieb fast gerade mir ge- genüber stehen und schaute mich an. Das Kinn, der rechts im Guß zusammenge- flossene rote Mund, die Nase und die massigen Fleischteile waren zweifellos auf größere Entfernung berechnet – aber wie schön war dieses blaue Auge! Wenn der Blick des wirklichen Heilandes nur halb so innig war, dann mußte er alle Frauen Jerusalems in dem Maße entzücken, daß sie nach Hause zu ihren Männern liefen und unter Androhung der Entziehung aller weiblichen Gnadenmittel erklärten, ein Mensch mit so schönen blauen Augen dürfe nicht hingerichtet werden! – Der Bu- denbesitzer hatte nach den schwerwiegenden, Christi Mund entnommenen Worten: »Einer unter euch wird mich verraten!« offenbar dem Publikum Zeit gelassen, sich zurechtzufinden. Er mußte aber auch warten, bis der Sinn dieser Worte in die Wachsköpfe der Jünger eingedrungen war. Und dies schien nun wirklich der Fall zu sein. Denn als der artistische Leiter, ich meine der Budenbesitzer, noch einmal

mit kräftigem Dresdener Dialekt, eindringlich und mit echt protestantischer Verve betont hatte: »Wahrlich, ich sage euch, einer unter euch wird mich verraten!« – als dann Christus wieder mit hinschmelzendem Rhythmus das breite Lordsgesicht er- hoben, die prachtvoll weißen Hände über den Fisch ausgestreckt und ein klingen- des »Nja!« herausgestoßen hatte, begann sofort eine wächsern-glänzige Revolution unter den Jüngern. Jakobus (der Ältere) und Andreas, jener in einem schottisch karierten Überwurf, die beide an der linken äußersten Tischecke einander zuge- wandt saßen, und von denen der letzte bis dahin ständig in die rechte Soffitte, Ja- kobus dagegen auf eine vor ihm stehende Schale mit roten Äpfeln geblickt hatte, begannen nun beide, mit bedenklicher Miene die Köpfe hin und her, von den Jün- gern zum Publikum und vom Publikum wieder zu den Jüngern, zu drehen, als woll- ten sie sagen: »Das ist ganz unmöglich! Diese Geschichte mit dem ›Verraten‹ ist ganz unmöglich; wirklich ganz unmöglich!« – Einige Leute im Publikum, fröstelnd getroffen von den schwarz lackierten Augen des Jakobus (des Älteren), räuspern verlegen und schauen vorsichtig um, ob sich der Verräter unter den Zuschauern befinde. Die ruhelos schnurrenden Köpfe der beiden Jünger bleiben schließlich dicht einander gegenüber stehen und durchbohren sich gegenseitig mit glänzigstar- renden Blicken, als röchen sie mit den Augen gegenseitig auseinander heraus, wer von ihnen heute noch »den Herrn« verraten werde.

Zweifellos war auf der anderen Seite des Tisches eine ähnliche Reihe von Entrüs- tungen vor sich gegangen, ohne daß ich sie beobachten konnte; ich schloß dies daraus, daß die oben schon genannten Bartholomäus und jüngerer Jakobus, von denen der letzte einen gelbseidenen Kaftan anhatte, und die beide zu Anfang ruhig und gelassen dortgesessen hatten, nun mit Händen und Oberkörper zum Tisch hin- gelümmelt waren und trotzig und wie herausfordernd zu Christus hinüberschauten. Der artistische Arrangeur hatte hier offenbar eine große Schwierigkeit zu überwin- den und wäre durch diese Gruppe beinahe zu Fall gekommen. Zum Glück hatte der jüngere Jakobus, der eine von den beiden etwas ungeschlachten Jüngern, die hohl- gemachte Hand am Ohr, so daß man sah, er horchte. Was seine wulstigen, dicken Lippen trugen, war etwa: »Was ist da gesagt worden von ›Verraten‹? Haben wir recht gehört? Wer verraten? Wie verraten? – Beim ›Verraten‹ müssen wir bitten, unsere Namen auszuschließen!« – Eine sehr gute Geste hatte sich Matthäus einstu- diert, der als späterer Evangelienschreiber seinen Platz gleich links vom »Herrn« hatte, und der mit der rechten Hand immer in bestimmten Pausen an die Stirne fuhr, als besänne er sich, ob denn ein ähnlicher Verdacht früher schon ausgespro- chen worden sei, im übrigen aber in dessen maßvoller Zurückweisung mit seinen Genossen gleichen Sinnes war. Daß Thomas, der später durch seinen Unglauben so viel Aufsehen gemacht, und der wiederum links von Matthäus saß, ungläubig sein Haupt – nun schon seit fünf Minuten – schüttelte, war vom Mechaniker der Gruppe zu erwarten gewesen. Und da in diesem Falle der Akteur – Thomas – von jedem Übertreiben sich fernhielt, also beim Schütteln auf der Höhe der Exkursion nicht jeweilig mit dem Blick das Ohr seines Nachbarn zur Rechten oder Linken (dort saß Philippus) streifte, so war sein ewiges Verneinen durchaus im Rahmen des Protestes der anderen.

In all dieser fleißigen Bewegung, diesem Fragen, Besinnen, Kopfschütteln, Entrüs- ten usw. war aber Christus, dieser schöne Mann in der Mitte, vollständig apathisch und sozusagen stocksteif, er kümmerte sich nicht im geringsten um das, was um ihn vorging, sondern blickte ruhig auf seinen Fisch. (…)“ (1890)

Die besondere Wirkung von mechanisch bewegten Wachsfiguren inspirierte auch andere Literaten, so zum Beispiel E.T.A. Hoffmann, Gustav Meyrink oder Charles Dickens.
„Stumm standen andere vor einem Glassarg, in dem ein sterbender Turko lag, schweratmend, die entblößte Brust von einer Kanonenkugel durchschossen, — die Wundränder brandig und bläulich.

Wenn die Wachsfigur die bleifarbenen Augenlider aufschlug, drang das Knistern der Uhrfeder leise durch den Kasten, und manche legten das Ohr an die Glaswän- de, um es besser hören zu können.
Der Motor am Eingang schlapfte sein Tempo und trieb ein orgelähnliches Instru- ment.“ (Meyrink 1948, S.103)

Die Panoptikumsbesitzerin Mrs. Jarlay in Charles Dickens Roman „The Old Curio- sity Shop“ setzte, was durchaus typisch war, eine mechanisch animierte Figur, hier eine Nonne, am Einlass auf, um Besucher in ihre Schaustellung zu locken: „Eine gewisse Maschinerie im Inneren der Nonne, die über der Tür postiert war, wurde geputzt und wieder in Gang gesetzt, so dass die Arme den ganzen Tag mit dem Kopf wackelte – zur größten Bewunderung eines betrunkenen aber sehr protestan- tischen Barbiers von gegenüber, der besagte paralytische Bewegung betrachtete, sie als typisch für die erniedrigende Wirkung der römischen Kirche auf den men- schlichen Geist bezeichnete und sich über dieses Thema mit viel Beredsamkeit und Moral ausführlich erging.“ (Dickens 1841, S.364)

Schaustück im Städtischen Museum Sonneberg Souvenirkarte 1934, Sammlung Nagel

Mit dem Aufkommen industriell gefertigter Automa- ten als Spielzeuge oder für Werbe- und vor allem Verkaufszwecke gegen Ende des 19. Jahrhunderts sank das Interesse des Publikums für die vergleichs- weise einfachen Automaten in Panoptiken und me- chanischen Theatern. Auch die mechanischen Kabi- nette, in denen u.a. ausgeklügelte „Kunstuhren“ ge- zeigt wurden, verschwanden:

„Unter den Aufstellern, die durch ihre Arrangements ganz besonders fesseln, wird uns das Prinzlau’sche Automaten-Cabinet bezeichnet. In diesem befinden sich Kunstwerke von hohem Wert, unter anderem sprechende Automaten, seltene Uhrwerke, unter letz- teren eine Wunderuhr, die fünfundzwanzig Jahre geht, ohne aufgezogen zu werden.

Ebenso ist das Scheffel’sche Automaten-Cabinet interessant. In diesem ist das ge- samte deutsche Handwerk durch selbsttätige Automaten bei voller Arbeit auf das trefflichste illustriert.“ (Der Komet 1885, zit. in Hornbostel 1998, S.61)

Souvenirkarte um 1900, Sammlung Nagel Mit der drei Meter hohen „weltgrößten Kunstuhr“ seines Bruders Josef …zog Baptist Greß lange Jahre über die Jahrmärkte. Die heute im Besitz eines Sammlers befindliche Uhr zeigt die …Zeiten verschiedener Städte, zahlreiche astronomische Daten sowie verschiedene automatische Figurengruppen.

Besonders originell war der „Weckapparat“, den der Schausteller G. Schulz 1862 in einer Bude auf dem Send in Münster präsentierte. „Diese berühmte Uhr, (…), weckt den Schlafenden in 5 verschiedenen Manieren aus dem Schlafe: 1) Weckt sie ihn durch das Läuten einer Glocke; 2) macht Feuer in den Ofen, unter der Kaffee- maschine, kocht des Kaffee, zündet die Tischlampe an; 3) zieht dem Schlafenden die Nachtmütze vom Kopf; 4) weckt ihn noch einmal durch den Lärm einer großen Glocke am Ohr und 5. wirft ihn zum Schluß mit Bettzeug heraus auf den Fußbo- den.“ (Münsterscher Anzeiger 3.4.1862, Stadtmuseum Münster 1986, S.230)

Automatische Figuren sind auf den Jahrmärkten trotz- dem bis heute anzutreffen – allerdings nicht hinter, son- dern vor den Fassaden. Diese elektronisch-hydraulischen Nachfahren der von Uhrwerken betriebenen Androiden vergangener Zeiten locken heute die Besucher vor allem in Geisterbahnen und Laufgeschäfte. Mittlerweile der Sprache mächtig, haben einige von Ihren sogar die Rolle der Rekommandeure übernommen.

Sprechender Kopf auf dem Winterdom, Hamburg 2006

redossi

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